Sarah 1 - Der Sturm/Kapitel 2: Difference between revisions

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Latest revision as of 06:57, 23 August 2022



Kapitel 1




Drei Wochen! Was für ein schöner Gedanke, drei Wochen allein zu sein. Drei Wochen ist meine Sippe auf Mutter-Kind-Kur. Ich verstehe immer noch nicht, was daran entspannend sein soll für meine Frau, wenn sie mit den Kindern allein weg ist. Okay, die Kids sind den halben Tag in der Betreuung und sie hat dann so Behandlungen wie Hot-Stone-Massagen, Yoga, Pilates und weiß der Henker was noch. Aber dann hat sie die Jungs um sich und das kann schon stressig sein. Ich dagegen bin allein zu Hause. Mit Bier, Fußball, Computerspielen und Pornos. Eigentlich sollte es Vater-alleine-Kur heißen, das würde bei den Krankenkassen aber eher für Stirnrunzeln sorgen. Man darf mich nicht falsch verstehen, ich liebe meine Frau und vergöttere meine Kinder. Aber manchmal würde ich die ganze Bande schon gerne zum Mond schießen. Da ist so eine Auszeit schon was Feines, es wird allen guttun.


Ich habe in der Zeit aber auch einiges vor. Die Küche muss gestrichen werden, mein Fahrrad benötigt eine Generalüberholung und noch einige andere Dinge, an die ich jetzt gar nicht denken möchte. Aber heute Abend mache ich erst mal gar nichts. Erst eine Pizza, dann ein paar Bierchen und einen schönen Horrorstreifen auf Netflix. Der Wetterbericht hat für heute auch noch einige Gewitter und Sturmböen angekündigt, da kann ich dann ohnehin nichts anderes machen. In diesem Sinne, schnell was zum Essen und ein paar leckere Kaltgetränke besorgen. Gesagt, getan!


Das war knapp, der Himmel wird gerade so schwarz, dass man unweigerlich an den Weltuntergang denken muss. Das wird gleich ordentlich rappeln. Gut, dass ich nicht mehr nach draußen muss. Also werde ich langsam beginnen, den Tag sanft ausklingen zu lassen. Doch dann klingelt plötzlich das Telefon. Ein kurzer Blick verrät, dass es sich um meine Schwägerin Katja handelt. Es gibt angenehmere Gesprächspartner, aber irgendwie ist es ja Familie, das kann man nicht ignorieren.

„Katja“, sage ich freundlich, als ich das Gespräch annehme, „wie geht es dir?“.
„Thomas, grüß dich. Darf ich dich um einen riesigen Gefallen bitten? Es ist wichtig!“, höre ich ihre leicht gequälte Stimme.
„Was ist denn los?“, frage ich mit einem sehnsüchtigen Blick auf meine tauende Pizza und das warm werdende Bier. Ich ahne Schlimmes.
„Sarah ist ja heute beim Reiten. Am Reiterhof bei euch im Ort, du weißt schon. Ich wollte sie gleich abholen, aber ich bin immer noch beim Tierarzt. Das wird noch ein wenig dauern hier und Kai hat Dienst. Kannst du sie bitte abholen und nach Hause bringen? Bei dem Wetter möchte ich sie nicht zum Bahnhof schicken müssen“.
Bei dem Wetter würde ich auch nicht draußen rumlaufen wollen, dachte ich bei mir. Aber bei dem Wetter durch das Tal fahren zu müssen, ist auch nicht so toll. Wieso mussten die auch am Arsch der Welt wohnen? Eigentlich ist es eine schöne Strecke, aber bei dem Wetter … Hoffentlich ist die Straße überhaupt frei.
„Kein Problem Katja, mache ich gerne“, meinte ich nur während ich das Bier in den Kühlschrank und die Pizza ins Tiefkühlfach schob. Natürlich war das gelogen, ich hatte mich ja auf einen ersten ruhigen Abend eingestellt. Aber was tut man nicht alles für die liebe Verwandtschaft …
„Super“, sagte Katja, „ich rufe Sarah nur schnell an und sage ihr Bescheid, dass du kommst. Vielen Dank, du hast was gut bei uns!“.
Damit beendeten wir das Gespräch. Und wie ich was gut habe, aber sowas von.


Ein kurzer Blick aus dem Küchenfenster offenbarte bereits das Schlimmste. Der Sturm war in vollem Gange und es regnete wie aus Eimern. Allein auf dem Weg zum Auto würde ich klitschnass werden. Und ich hatte recht. Als ich die Autotür gerade hektisch zugemacht hatte, lief mir das Wasser schon über das Gesicht. Die Straßen waren verständlicherweise ziemlich leer, aber das half mir auch nicht schneller an mein Ziel zu kommen. Die Scheibenwischer waren heillos überfordert mit den Wassermassen. Trotzdem war ich einige Minuten später am Reiterhof, wo Sarah bereits an der überdachten Bushaltestelle wartete. Obwohl es nur ein paar Meter waren, war ihr dünnes Jäckchen und die Hose schon gut nass, als sie die Beifahrertür zumachte.

„Na? Alles gut?“, fragte ich sie.
„Findest du, dass das gut aussieht?“, fragte sie zurück. Wenn sie sich selbst damit meinte, so konnte ich das nur bejahen. Zuletzt gesehen hatte ich sie an ihrem dreizehnten Geburtstag vor mehr als einem halben Jahr. Damals trug sie noch eine Zahnspange und hatte Pickel im Gesicht. Beides war jetzt verschwunden und so langsam nahm ihr Körper weibliche Proportionen an. Sie trug noch ihre Reitklamotten und verströmte den unmissverständlichen Geruch ihrer vorausgegangenen Tätigkeit, was mich allerdings nicht sehr störte. Landluft eben.
„Wieso geht man auch bei so einem Wetter reiten?“, meinte ich mehr aus Spaß. Ich wusste, wie viel ihr daran lag und sie das nur in extremen Ausnahmen ausfallen lassen würde.
„Vorhin war es noch gut. Und Mama sagte nur, dass sie pünktlich ist“.
„Na ja, halb so schlimm. Ich hatte sowieso nichts Besonderes vor. Jetzt wollen wir mal sehen, ob wir dich nach Hause bekommen“.

Der Regen prasselte immer noch lautstark auf das Blech als wir uns wieder in Bewegung setzten. Wir quatschten noch ein wenig über belangloses Zeug, aber ich konnte nur mit einem halben Ohr zuhören, weil ich mich lieber auf die abgesoffenen Straßen konzentrierte. Am Eingang zum Tal, dem direktesten Weg zu Sarahs Zuhause, kam dann die böse, aber nicht ganz unerwartete Überraschung: Ein Feuerwehrfahrzeug stand quer über der Fahrbahn und versperrte diese in beide Richtungen. Schon kam ein Feuerwehrmann auf uns zugelaufen und gestikulierte wild, dass ich mein Fenster etwas herunterlassen sollte.

„Gesperrt“, meinte er knapp, „Baumschlag. Wenn sie weiter wollen, dann nur über die Dörfer oder den anderen Weg an der Talsperre vorbei. Aber ob es da besser aussieht, kann ich ihnen nicht versprechen. Hier kommen sie frühestens morgen früh wieder durch“.
„Danke“, sagte ich ebenso knapp, blieb noch stehen und machte das Fenster wieder zu. Beide Alternativen bedeuteten 15 Kilometer Umweg. Und ob man da überhaupt durchkommen würde, war nicht garantiert, wenn man den Kollegen von gerade Glauben schenken mochte.
„Und jetzt?“, fragte ich zu Sarah gewandt.
„Keine Ahnung“, gab sie schulterzuckend zurück.
„Hm, Tanja und die Jungs sind ja nicht da. Du könntest in einem der Kinderzimmer schlafen. Ich denke, heute wirst du nicht mehr nach Hause kommen können“.
„Ja, das wird wohl das Beste sein“, sagte Sarah nur knapp. Wir riefen Katja über die Freisprechanlage an und klärten sie auf. Sie bedankte sich noch mal überschwänglich und entschuldigte sich zugleich für die Unannehmlichkeiten. Für mich bedeutete es lediglich, dass ich nicht in Unterhose auf dem Sofa herumlümmeln und nicht so einen schlimmen Film sehen konnte, wie ich es eigentlich vorhatte. Aber, ich würde mit Sarah jetzt erst mal einen Döner essen gehen. Das war allemal besser als eine Tiefkühlpizza.